Baum des Jahres
Die Rot-Eiche (Quercus rubra)
Baum lichter Wälder und offener Landschaften, aber auch zukunftsfähiger Baum in den Städten
Text: Dr. Rudolf Fenner
Ihr offizieller Name lautet Amerikanische Rot-Eiche und damit wird klar: Sie ist nicht von hier. Sie stammt aus den Nadel- und Laubmischwäldern in der östlichen Hälfte Nordamerikas. Ihr Vorkommen dort reicht vom Ostrand der zentral gelegenen Prärien bis an die Atlantikküste und vom südlichen Rand der kanadischen Taiga bis fast an die Küsten des Golfs von Mexiko. Unter den zahlreichen dort vorkommenden Eichenarten zählt sie zu den häufigsten und am weitesten verbreiteten. Sie ist in den meisten der unterschiedlichen Waldtypen dieses großen Gebiets als Mischbaumart vertreten. Nur in zweien davon ist sie die dominierende Mischbaumart.
Eindrucksvoll sind ihre in Rottönen schwelgenden Blätter im späten Herbst. In den nördlichen Regionen ihres Verbreitungsgebietes ist sie maßgeblich an der Farbenpracht des berühmten Indian Summers beteiligt.
Die Rot-Eiche ist vor 300 Jahren über Frankreich nach Europa gekommen und wurde zunächst vor allem in Parks, Botanischen Gärten und herrschaftlichen Alleen angepflanzt. Ein holz- und forstwirtschaftliches Interesse war zunächst recht gering und nahm erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich zu. Heute ist sie als Kulturforstpflanze in weiten Teilen Europas in den holzwirtschaftlich genutzten Wäldern von Südskandinavien bis nach Nordspanien, Norditalien und bis in die Balkanregion sowie von Südengland bis in die Ukraine und noch weiter östlich im angrenzenden russischen Wolgagebiet anzutreffen.
Wer sie noch nicht kennt:
Die Rot-Eiche ist ein Baum, der – wenn er frei steht – um die 25 Meter hoch werden kann. In dichteren Waldbeständen schafft sie aber durchaus auch 35 Meter. Ihre Krone fällt in jüngeren Jahren eher kegelförmig aus, geht aber bei frei stehenden Bäumen mit zunehmendem Alter deutlich in die Breite.
Ihr augenfälligstes Erkennungsmerkmal sind ihre langstieligen, recht großen, spitz gelappten Blätter (20-25 cm, gelegentlich auch 30-35 cm lang), wobei der Rand der einzelnen Lappen noch mit wenigen unregelmäßig verteilten kleinen spitzen Zähnen besetzt ist. Auf den ersten Blick wirken diese Blätter fast schon bizarr. Nicht jeder erkennt sofort die Ähnlichkeit im Bauplan mit den kleineren und rundgelappten Blättern unserer heimischen Eichen. Allerdings ist die Blattform durchaus variabel. Die Blätter der Lichtkrone sind tiefer eingebuchtet und lassen deshalb mehr Licht zu den flächiger geformten Blättern der Innenkrone durch. Zur herbstlichen Rotfärbung der Blätter ist noch zu ergänzen, dass sie bei alten Bäumen und auf Standorten mit schlechter Wasserversorgung schwächer oder gänzlich ausfällt und die Blätter sich direkt braun färben.
Es gibt noch einige weitere aus Nordamerika stammende Rot-Eichenarten bei uns – nicht in den Wäldern, aber in unseren Parks, städtischen Grünanlagen und als Straßenbäume: die Sumpf-Eiche, die Scharlach-Eiche und die Färber-Eiche. Deren Blattarchitektur ist zumindest ähnlich und ebenfalls variabel. Und Rotfärbungen im Herbst zeigen sie auch alle. Da sind dann zur exakten Bestimmung doch schon eher die Spezialisten gefragt.
Ungewöhnlich ist auch die Rinde der Rot-Eiche. Die typische Eichenborke, wie wir sie hier von unseren heimischen Eichen kennen, gibt es bei der Rot-Eiche nicht. Deren Rinde ist zumindest in den ersten zwei, drei Jahrzehnten glatt und grau, ähnlich der Rinde der Rot-Buche. Später reißt sie dann nach und nach in senkrechte parallel verlaufende, tiefe Rillen („Skispuren“) und in unregelmäßig große, flächige Borkenbereiche auf.
Die neuen Triebe, die Blätter und die nach Geschlecht getrennten Blüten
gleichzeitig oder nur wenige Tage zeitversetzt aus – gelegentlich schon ab Mitte April, meist erst ab Anfang Mai. Die männlichen Kätzchenblüten hängen in Büscheln meist am Ende des Vorjahresaustriebs, während die weiblichen Blüten – einzeln oder in kleinen Gruppen – eher unscheinbar klein in den Achseln der Blätter am Neuaustrieb stehen. Im Zeitraum der Empfängnisbereitschaft fällt allerdings ihr tiefrot gefärbter Stempel auf.
Rot-Eichen fruchten, wenn sie frei stehen, etwa ab 25 Jahren, innerhalb des Waldes aber erst ab etwa 50 Jahren. Die abgerundet tonnenförmigen und bis zu 3 cm langen Eicheln stehen in einem relativ flachen Becher. Sie reifen – darin unterscheiden sie sich von unseren heimischen Eichen – nicht im selben Jahr, sondern erst im Verlauf des folgenden Jahres ab Ende August.
Park-, Stadt- und Straßenbaum
In städtischen Grünanlagen, Parks und auf Friedhöfen ist die Rot-Eiche schon lange regelmäßig anzutreffen und bereichert dort maßgeblich das alljährliche herbstliche Farbenspiel der Baumkronen. Auch als Alleebaum – innerorts und an Landstraßen – hat die Rot-Eiche – da sie wenig empfindlich auf Streusalz reagiert – ihren Platz gefunden. Sie wird dort auch künftig noch gepflanzt werden können, denn sie gilt als recht trockenheitstolerant und wird auch mit den sicherlich noch steigenden Temperaturen vorerst gut zurechtkommen.
Forstliche Nutzung
Erst Mitte des 19. Jahrhunderts – also etwa hundert Jahre nach ihrer Einführung in Deutschland – erwachte hier ein breiteres Interesse, die Rot-Eiche auch forstwirtschaftlich anzubauen. Seit 1880 wurden dann zunächst mehr und mehr wissenschaftlich begleitete Versuchspflanzungen angelegt, von denen viele auch heute noch bestehen und beobachtet werden. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Rot-Eiche dann endgültig Bestandteil der hiesigen Forstpraxis. Heute ist sie – mit einem Anteil von 0,5 Prozent – die zahlenmäßig häufigste nichtheimische Laubbaumart in unseren Wäldern.
Zunächst meist in Reinkulturen angepflanzt, wird die Rot-Eiche heute eher in Mischbeständen kultiviert – zusammen mit Buchen, aber auch mit Hainbuchen, Winter–Linden oder Berg-Ahorn. Das entspricht – siehe oben – zum einen eher ihrer natürlichen Lebensweise in ihrer nordamerikanischen Heimat, hat aber auch noch weitere Vorteile: Die im Vergleich zu heimischen Eichen auffallend geringe Biodiversität an blattfressenden Insektenarten bei hier in Mitteleuropa wachsenden Rot-Eichen ist in Mischbeständen deutlich erhöht. Auch die Zersetzung des Rot-Eichenherbstlaubs, die in Reinkulturen zumindest auf sehr armen Böden zu langsam verläuft und dort eine geschlossene Rohhumus-Auflage bilden kann, verläuft in Mischkulturen ohne große Probleme.
Holz
Die Rot-Eiche wächst vergleichsweise schnell – deutlich schneller als ihre hiesigen Artgenossen. In den ersten hundert Jahren schafft sie 10 bis 14 Meter mehr an Wuchshöhe. Entsprechend schneller nimmt auch ihr Stammdurchmesser zu. Ihr Holz gilt trotzdem als von annähernd gleicher Qualität, allerdings nur bei der Verwendung im Innenbereich – also für Möbel, Wandtäfelungen, Treppen, Türen, Fenster und – besonders gern – für Dielen- und Parkettfußböden. Für die Herstellung von Fässern für Wein und andere Flüssigkeiten eignet es sich nicht, da – anders als bei unseren heimischen Eichen – die ehemaligen Leitungsgefäße im Kernholz der Rot-Eichen nicht durch sogenannte Thyllen verstopft werden. Das Holz ist also für Flüssigkeiten durchlässig. Aus dem gleichen Grund lässt es sich dann aber auch umso wirkungsvoller bis tief ins Innere imprägnieren und kommt dann auch für die Verwendung im Freiland infrage.
Wegen der eingeschränkten Verwendbarkeit des Rot-Eichenholzes unterscheidet der Holzhandel übrigens zwischen Roteichen und Weißeichen, wobei die Farbangaben sich allein auf die unterschiedliche Färbung des Splintholzes, dem schmalen Bereich zwischen Borke und dem inneren Kernholz, beziehen. Der ist nämlich bei den Weißeichen, zu der unsere europäischen, aber auch viele der amerikanischen Eichen gehören, weiß bis hellgrau. Bei den Roteichen, zu denen die Rot-Eiche und ihre näheren Verwandten in Nordamerika gehören, ist das Splintholz hellgrau bis blassrosa.
Sonderaufgaben
Da die Rot-Eichen auch auf armen Böden noch gut zurechtkommen, werden sie schon seit Langem auch zur Renaturierung von stillgelegten Tagebauen und Abraumhalden eingesetzt.
Als bestens geeignet erweisen sie sich aber für eine ganz andere Aufgabe: nämlich Waldbrände in den ausgedehnten, auf sandigen Böden stehenden Kiefern-Kulturen auszubremsen oder gar zu stoppen. In breiten, dicht bepflanzten Streifen zwischen den Kiefernbeständen behindert die schwer entzündliche Belaubung der Rot-Eichen die Ausbreitung eines Feuers über die Baumkronen. Und die geringe Bodenvegetation sowie die schwer brennbare, dichte Laubstreu unter den Rot-Eichen verlangsamen die Ausbreitung eines Bodenfeuers derart stark, dass eine erfolgreiche Brandbekämpfung möglich wird. [Abbildung] Und noch ein Plus haben diese “Feuerriegel“: Rot-Eichen haben sich im Verlauf ihrer Evolution gegen die in ihrer nordamerikanischen Heimat sehr viel häufiger auftretenden Waldfeuer gewappnet. Sie können – selbst wenn sie stark durch ein Feuer in Mitleidenschaft gezogen wurden – aus tief in ihrem Stammfuß und Wurzelhals ruhenden Knospen gleich nach dem Brand wieder austreiben. So muss dann kein neuer Riegel aufgeforstet werden.
Invasiv? Ja, aber ...!
Das Bundesamt für Naturschutz hat die Rot-Eiche als invasiv eingestuft. Die Entscheidung beruht auf einem Fall im Waldgrenzbereich des Elbsandsteingebirges: In den dortigen sehr lichten Felswäldern der Sächsischen Schweiz werden die vereinzelt auf Felsplateaus und in Felsspalten wurzelnden heimischen Trauben-Eichen von Rot-Eichen verdrängt. Diese Rot-Eichen, eingeschleppt von Eichelhähern aus ein bis anderthalb Kilometern entfernten forstlichen Rot-Eichenbeständen, können sich mit ihren Wurzeln besser in den Felsen verankern und so auch effektiver Nährstoffe und Wasservorräte erschließen. Sie überwachsen die Trauben-Eichen dort mit der Zeit und bringen sie letztlich zum Absterben.
Der Verband Forstlicher Forschungsanstalten widerspricht dieser Einstufung anhand dieses Einzelfalls und weist darauf hin, dass es in den Waldgebieten hier in Deutschland keine weiteren Fälle gibt, in denen sich die Rot-Eiche unkontrolliert breitgemacht hat. Der Eichelhäher ist der Einzige, der die Rot-Eiche überhaupt über größere Distanzen ausbreiten könnte. Der zieht aber die Eicheln der heimischen Eichen vor. Außerdem wachsen keimende Rot-Eichen genauso wie die heimischen Eichen innerhalb des Waldes langsam, sind wenig schattentolerant und werden gern vom Wild verbissen. Die allerwenigsten überleben die ersten Jahre. Auch aus städtischen Parkanlagen ist eine massive Ausbreitung nicht bekannt.
Allerdings sind in mehreren angrenzenden Nachbarländern – in Belgien und den Niederlanden sowie in Polen und Tschechien – die Rot-Eichen ebenfalls als potenziell invasiv beziehungsweise invasiv eingestuft. Meist geht es dabei um lichte Kiefernforste, in denen im Rahmen einer natürlichen Sukzession zunehmend mehr heimische Eichen, aber auch Rot-Eichen aufwachsen.
Veteranen
Die vermutlich älteste in Deutschland stehende Rot-Eiche steht im 1778 angelegten Schlosspark von Dresden-Pillnitz. Sie ist etwa 250 Jahre alt und hat einen Stammumfang von 5,40 Meter. Ebenfalls bei Dresden – allerdings im nicht öffentlich zugänglichen Schlosspark von Nöthnitz – steht auch die mächtigste Rot-Eiche Deutschlands. Ihr Stammumfang beträgt 6,84 Meter. Ihr Alter ist allerdings unbekannt und wird eher auf nur 175 Jahre geschätzt. Und in der Karlsruher Weststadt steht auch die zweitmächtigste und noch vollkommen vital erscheinende Rot-Eiche Deutschlands. Ihr Stammumfang beträgt 6,17 m, ihr Alter wird mit 205 Jahren angegeben.
In ihrer nordamerikanischen Heimat wird das Höchstalter der Rot-Eiche mit 300 – 500 Jahren angegeben. Ein so extrem hohes Alter von 800 Jahren und mehr, wie es unseren heimischen Eichen zugetraut wird, kann die deutlich schneller wachsende Rot-Eiche demnach keinesfalls erreichen.